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NOOCHRICHTE
60 (September 2000)
Assistenzentschädigung
Selbständige
Lebensführung ausserhalb von Heimen ermöglichen!
Seit
über zehn Jahren bezeichnen die in der Dachorganisationenkonferenz
der privaten Behindertenhilfe DOK zusammengeschlossenen Organisationen
die Einführung einer Assistenzentschädigung als ihr zentrales
Anliegen für die 4. IVG-Revision. Weshalb hat diese Forderung
für die Betroffenen eine derart hohe Priorität und welches
sind die Erwartungen, welche mit der Revision verbunden werden?
Der Autor fasst die wichtigsten Überlegungen und Zielsetzungen
aus der Sicht der Behindertenorganisationen zusammen und legt dar,
weshalb die Vorschläge der Verwaltung in den Grundzügen
unterstützt werden.
Eine
alte Forderung der Behindertenorganisationen
Es
ist rund zehn Jahre her, dass eine von der Dachorganisationenkonferenz
der privaten Behindertenhilfe (DOK) eingesetzte Arbeitsgruppe eine
umfassende Befragung der Betroffenen und ihrer Verbände durchführte,
gestützt auf deren Ergebnisse die Invalidenversicherung einer
Analyse unterzog, Lücken und Schwachpunkte ortete und eine
ganze Reihe von Verbesserungsvorschlägen formulierte. Das Resultat
wurde in einem Bericht zusammengefasst und der Vorsteherin des EDI
eingereicht.Dieser Bericht kann angesichts des veränderten
sozial-und finanzpolitischen Umfelds nicht mehr in allen Punkten
als Zielvorgabe dienen; in den wesentlichen Grundzügen darf
er jedoch nach wie vor Aktualität beanspruchen. Dies betrifft
namentlich die Forderung nach Ablösung der heutigen Hilflosenentschädigung
durch eine Assistenzentschädigung; ausgehend von verschiedenen
Vorbildern in Sozialversicherungssystemen des Auslandes wurde dieser
Vorschlag damals erstmals auf breiter Basis und in grosser Einigkeit
in die hiesige Diskussion eingebracht und er steht noch heute in
der Prioritätenliste der Erwartungen an die 4.IVG-Revision
an vorderster Stelle. In der Zwischenzeit wird die Forderung nach
Einführung einer substantiellen Assistenzentschädigung
aber auch aus Artikel 8 Absatz 4 der neuen Bundesverfassung abgeleitet,
welcher den Gesetzgeber beauftragt, «Massnahmen zur Beseitigung
von Benachteiligungen der Behinderten» vorzusehen..
Weshalb
eine Assistenzentschädigung?
Der
Forderung nach Einführung einer Assistenzentschädigung
liegt primär ein menschenrechtlicher Ansatz zugrunde: Das zentrale
Grundrecht der persönlichen Freiheit muss selbstverständlich
auch behinderten Mitbürgern und Mitbürgerinnen zustehen.
Zu diesem Recht gehört der Anspruch, das eigene Leben (im Rahmen
der üblichen gesellschaftlichen Schranken) selbstbestimmt zu
gestalten, den Wohnort frei zu wählen, selber zu bestimmen,
wann, wo und mit wem gesellschaftliche Kontakte gepflegt werden,
so wie dies alle andern Menschen auch tun. Behinderte Menschen können
dieses Grundrecht jedoch nur wahrnehmen, wenn ihnen die nötigen
Mittel zur Kompensation der behinderungsbedingten Beeinträchtigung
zur Verfügung gestellt werden; manchmal reichen technische
Hilfsmittel, oft bedarf es jedoch menschlicher Assistenz in unterschiedlichem
Ausmass und behinderungsbedingt angepasster Ausgestaltung. Werden
den Betroffenen die nötigen Mittel zur Finanzierung dieser
Assistenz vorenthalten, so wird letztlich das Grundrecht auf persönliche
Freiheit unmittelbar beschnitten, die persönliche Würde
direkt getroffen. Grundsätzlich sind verschiedene Modelle zur
Finanzierung der nötigen Assistenz denkbar. In Anbetracht der
Tatsache, dass die Schweiz mit der IV eine Versicherung kennt, welche
dazu bestimmt ist, die Eingliederung behinderter Menschen in das
erwerbliche und soziale Leben sicherzustellen, liegt es auf der
Hand, eine Lösung im Rahmen der IV anzustreben; dies umso mehr
als die Einführung einer eigenständigen Pflegeversicherung
in der Schweiz bis auf weiteres politisch nicht denkbar ist. Ein
Ausbau der Leistungen der Krankenversicherung würde schliesslich
ebenfalls auf enormen Widerstand stossen; zudem eignet sich das
System der Krankenversicherung, welches auf dem Grundsatz der Vergütung
einzelner Leistungen «normierter »Leistungserbringer
gründet, im Hinblick auf die komplexen Bedürfnisse im
Rahmen von Langzeitpflege,-betreuung und -assistenz nur sehr bedingt.
Weshalb
die heutigen Hilflosenentschädigungen nicht genügen
Vorweg
sei festgehalten, dass der Ansatz, welcher den heutigen Hilflosenentschädigungen
zugrunde liegt, durchaus zu unterstützen ist: Mit der Gewährung
eines von der Pflege- und Betreuungsbedürftigkeit abhängigen
Pauschalbetrags, über dessen Verwendung die betroffene Person
(und allenfalls ihre Angehörigen) autonom entscheiden darf,
wird dem Bedarf nach höchstmöglicher Selbstbestimmung
und nach einzelfallorientierten Lösungsstrategien Rechnung
getragen. Zudem werden Betroffene wie auch Verwaltung von unnötiger
Administration entlastet. Letztlich ist ein derartiger Ansatz sehr
modern und nimmt Überlegungen auf, wie sie heute andernorts
(z.B. beim NPM) in Finanzierungssystemen vermehrt Eingang finden.
Die Kritik der Behindertenorganisationen stösst sich deshalb
nicht am Prinzip der Pauschalabgeltung, sondern an folgenden Punkten:
- Die
heutige Terminologie ist diskriminierend: Es geht nicht an, eine
Person als «hilflos »zu bezeichnen, welche behinderungsbedingt
bei der Alltagsgestaltung auf Dritthilfe angewiesen ist.
- Die
Anspruchsvoraussetzungen sind teilweise zu eng formuliert: Sie
führen dazu, dass gewisse Personenkreise wie die psychisch
behinderten Menschen und die Gehörlosen in aller Regel
leer ausgehen; damit entstehen im System selber innere Ungerechtigkeiten.
Auch muss man sich fragen, ob es sinnvoll ist, die Dritthilfe
etwa beim Essen zu berücksichtigen, nicht aber jene beim
Zubereiten und Auftragen des Essens
- Die
Höhe der heutigen Entschädigung (Monatspauschale von
201, 503 oder 804 Franken je nach Grad der Pflegebedürftigkeit)
genügt in keiner Weise, um den tatsächlichen Bedarf
an Dritthilfe zu decken: Wie kann etwa ein schwerstbehinderter
Tetraplegiker, der in allen Lebensbereichen Hilfe und Assistenz
benötigt, mit monatlich 804 Franken diese Hilfe finanzieren?
Stossend ist in diesem Zusammenhang auch, dass Unfallversicherte
heute Hilflosenentschädigungen erhalten, die um den Faktor
2,5 höher liegen als jene der IV-Versicherten, wofür
es tatsächlich nicht den geringsten Grund gibt.
- Das
heutige System mit nur drei Stufen und äusserst starren Einteilungskriterien
vermag nicht zu befriedigen: Heute entscheiden Details darüber,
in welche Stufe eine Person fällt (so etwa, ob sie in der
Lage ist, das Fleisch selber zu zerschneiden), nicht aber der
tatsächliche zeitliche Aufwand, der für die Assistenz
benötigt wird.
- Schliesslich
befriedigt nicht, dass die Leistungen der IV erst nach einer Wartezeit
von einem Jahr einsetzen, während der die Betroffenen regelmässig
in Engpässe geraten.
Behinderte
Menschen können das Grundrecht der persönlichen Freiheit
nur wahrnehmen, wenn ihnen die Mittel zur Kompensation ihrer Beeinträchtigung
zur Verfügung stehen.
Erwartungen
an die Revision
Dass
die 4.IVG-Revision die Schwachstellen im heutigen System angehen
muss, darüber besteht unter allen Behindertenorganisationen
einhellig Konsens. Wie weit die Revision gehen kann und soll, dazu
gehen die Meinungen teilweise auseinander. Während gewisse
Kreise wie das «Zentrum für selbstbestimmtes Leben »eine
versicherungsübergreifende Gesamtrevision des Systems unter
Ersatz aller Objektfinanzierungen durch eine «echte »umfassende
Assistenzentschädigung fordern, begrüssen die in der DOK
zusammengeschlossenen Organisationen der Behindertenhilfe unter
realpolitischem Blickwinkel auch schon eine Teilrevision des Systems,
welche die wichtigsten Lücken und Schwachstellen schliesst
und die Basisleistungen für Personen, die nicht in Institutionen
leben, substantiell erhöht. Daraus ergeben sich folgende Erwartungen:
- An
Stelle der bisherigen Hilflosenentschädigung soll neu eine
Assistenzentschädigung treten: Die Unterstützungsleistungen
bei der Pflege, Betreuung sowie bei der Führung gesellschaftlicher
Kontakte lassen sich sehr gut unter dem Titel «Assistenz
»zusammenfassen, der von einem partnerschaftlichen Verständnis
von Hilfeleistung ausgeht.
- Die
Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug einer Assistenzentschädigung
sind (auf Gesetzes- und Verordnungsebene) offener zu formulieren.
Insbesondere müssen sie auch den psychisch und leicht geistig
behinderten Menschen ermöglichen, einen Beitrag für
die Finanzierung der benötigten Begleitung beim selbständigen
Wohnen zu erhalten. Hierzu liegen erfreulicherweise Vorschläge
vor, welche von Jürg Gassmann und Christoph Lüthy in
einem eigenen Beitrag kommentiert werden. Aber auch den gehörlosen
Menschen muss der Bezug einer Assistenzentschädigung ermöglicht
werden, damit sie ihren Bedarf an Gebärdensprachdolmetschern
finanzieren können.
- Für
Menschen, die ausserhalb eines Heimes leben (und damit von den
kollektiven Beiträgen der IV nicht profitieren können),
muss die Assistenzentschädigung zumindest in etwa auf das
Niveau der heutigen Leistungen der Unfallversicherung gehoben
werden: Nur dann wird es den Betroffenen (oder zumindest einem
Grossteil von ihnen) möglich werden, die benötigte Assistenz
aus Versicherungsleistungen zu finanzieren, allenfalls unter komplementärer
Inanspruchnahme von Leistungen der Krankenversicherung.
- Das
grobe Stufensystem sollte verfeinert werden, wobei ein System
mit vier oder fünf Stufen denkbar wäre. Von einer solchen
Verfeinerung erwarten wir mehr Einzelfallgerechtigkeit, ohne dass
der administrative Aufwand erheblich zunehmen müsste. Ernsthaft
geprüft werden sollte auch, ob der Faktor Zeit nicht vermehrt
bei der Einstufung assistenzbedürftiger Personen berücksichtigt
werden könnte.
Sonderfall
Minderjährige
Ein
besonderes Augenmerk verdient schliesslich die Situation behinderter
Kinder. Hier nimmt die IV mit ihren Leistungen zur Abgeltung des
Pflege-und Betreuungsaufwandes insofern eine besonders wichtige
Funktion wahr, als sie anders als bei erwachsenen Betroffenen
in aller Regel als einzige Versicherung Leistungen erbringt.
Die Krankenversicherung kommt kaum je bei der Langzeitpflege behinderter
Kinder zum Zuge, weil spezialisierte Kinder-Spitexdienste an einer
Hand abzuzählen sind und die üblichen Spitexorganisationen
den spezifischen Anforderungen der Pflege und Betreuung schwer und
mehrfach behinderter Kinder in aller Regel weder fachlich noch organisatorisch
gewachsen sind.
Die Ergänzungsleistungen wiederum, welche bei volljährigen
Versicherten zur Not in die Lücke springen und eine Art Auffangnetz
zur Ermöglichung eines selbständigen Lebens ausserhalb
des Heims bilden, entfallen bei Minderjährigen vollends. Die
IV nimmt ihre Funktion bei minderjährigen Versicherten heute
wahr, indem sie zwei sich ergänzende, vom System her jedoch
grundverschiedene Leistungen anbietet: Einerseits entrichtet sie
analog den Hilflosenentschädigungen Pflegebeiträge, die
je nach invaliditätsbedingtem Mehraufwand an Pflege und Überwachung
pauschal bei 7,17 oder 27 Franken pro Tag liegen. Wer mit den Verhältnissen
von Familien gerade mit schwer-und schwerstbehinderten Kindern vertraut
ist, weiss sehr wohl, dass mit solchen eher symbolischen Beiträgen
kaum die nötige Entschädigung und Entlastung von Müttern
und Vätern, welche rund um die Uhr gefordert sind, sichergestellt
werden kann.
Nachdem einige besonders stossende Schicksale vor rund zehn Jahren
in den Medien dargestellt worden waren, reagierte der Bundesrat
1991 mit einer Revision der Bestimmungen über die medizinischen
Massnahmen in der IV und schaffte mit den «Entschädigungen
für Hauspflege» von Artikel 4 IVV ein «zweites
Bein »für die Unterstützung von Familien behinderter
Kinder: Überschreitet danach der invaliditätsbedingt zu
leistende Pflege- und Überwachungsaufwand das zumutbare Mass,
so finanziert die IV die Kosten für zusätzlich benötigte
Hilfskräfte bis zu einer gewissen Höchstgrenze; bei schwerstbehinderten
Kindern, die eine intensive Behandlungs- und Grundpflege von täglich
durchschnittlich über acht Stunden beanspruchen, liegt die
Höchstgrenze bei immerhin rund 2000 Franken im Monat. Wo diese
neue Leistung zum Tragen kam, erlebten die betroffenen Familien
in der Folge erstmals eine echte Unterstützung, konnten sich
vielmals wirksam entlasten und ihrer Aufgefrischten Kräften
nachgehen. Von allem Anfang ist man sich allerdings bewusst gewesen,
dass es sich bei der Regelung von Artikel 4 IVV um ein System mit
gewichtigen Mängeln handelt: Von den Leistungen können
nämlich nur jene Versicherten profitieren, die Anspruch auf
medizinische Massnahmen der IV haben, d.h. Versicherte mit einem
anerkannten Geburtsgebrechen. Krankheits-und unfallbehinderte Kinder
wie auch solche mit einem Geburtsgebrechen, welches nicht in der
bundesrätlichen Liste aufgenommen ist (z.B. Trisomie), gehen
leer aus. Diese schwere Ungleichbehandlung ist immer wieder kritisiert
worden und hat u.a. die Pro Infirmis zur Einreichung einer Petition
bewogen.
Ein
weiterer Mangel des Systems liegt darin, dass es administrativ sehr
aufwendig ist, weil es nicht mit Pauschalabfindungen, sondern mit
Einzelabrechnungen funktioniert; und schliesslich haben Verwaltung
und zuletzt auch die Rechtsprechung den Anwendungsbereich von Artikel
4 IVV zunehmend eingeschränkt auf Fälle, die eine medizinische
Behandlung im engeren Sinne zu Hause bedingen.
Aus
all diesen Gründen ist es sicher richtig, dass das Leistungssystem
der IV zur Finanzierung der Pflege und Betreuung behinderter Kinder
auf eine neue Basis gestellt wird. Die in der DOK zusammengeschlossenen
Organisationen erwarten dabei,
- dass
alle Kinder unabhängig von der Art und Ursache ihrer Behinderung
gleich behandelt werden; dies bedingt eine Abkoppelung der Hauspflegebeiträge
aus den medizinischen Massnahmen und eine einheitliche Neuordnung
unter dem Titel «Assistenzentschädigung».
- dass
die Beiträge in Form von Pauschalen ausgerichtet werden;
dies entlastet Betroffene wie Verwaltung in administrativer Hinsicht
und sichert den Angehörigen den nötigen Freiraum bei
der Gestaltung ihres Betreuungsalltags. Wir sind der Meinung,
dass die Eltern als «Spezialisten »durchaus in der
Lage sind (allenfalls mit Hilfe von Beratungsstellen), die optimale
Lösung für ihre spezifische Betreuungssituation zu finden
und zu gestalten.
- dass
zur Kompensation der Streichung der Hauspflegebeiträge nach
Artikel 4 IVV eine markante Erhöhung der Beitragspauschalen
im Rahmen der Assistenzentschädigung nötig ist. Ein
Abbau von Leistungen muss insbesondere bei den Eltern schwerstbehinderter
Kinder unter allen Umständen ausgeschlossen werden.
- dass
bei der Einführung erhöhter Assistenzentschädigungen
für Minderjährige Wege gesucht werden zu einer feineren
Abstufung des Systems und damit zu mehr Einzelfallgerechtigkeit.
Sollte am heutigen Dreistufensystem festgehalten werden was
wir bedauern würden, müsste zumindest der spezifischen
Situation der Familien mit besonders hohem Pflegeaufwand mit einer
Zusatzpauschale im Sinne eines Intensivpflegezuschlags Rechnung
getragen werden.
- dass
schliesslich die bei minderjährigen Behinderten unsinnige
Wartezeit von einem Jahr bis zum Bezug von Entschädigungen
fallen gelassen oder markant verkürzt wird. Die Vorschläge
der Verwaltung gehen soweit bekannt grundsätzlich
in die richtige Richtung, müssen aber in Einzelaspekten sicher
noch eingehend diskutiert werden. Wir sind aber überzeugt,
dass Vorschläge für ein neues kohärentes und genügend
dotiertes Unterstützungssystem für die Pflege, Betreuung
und Assistenz behinderter Kinder auf eine hohe gesellschaftliche
Akzeptanz stossen werden. Das nicht nur sozial, sondern auch familienpolitische
Ziel, Eltern behinderter Kinder die Betreuung im familiären
Rahmen zu ermöglichen und Heimeinweisungen zu minimieren,
ist weitgehend unumstritten.
Zu
den Kosten
Kein
Vorschlag darf heute diskutiert werden, ohne die Kostenfrage miteinzubeziehen.
Das gilt ganz generell, aber natürlich in besonderem Masse
für die defizitäre Invalidenversicherung. Die Ablösung
der heutigen individuellen Leistungen der IV zur Finanzierung von
Pflege und Betreuung (Pflegebeiträge, Hauspflegeentschädigungen,
Hilflosenentschädigungen) durch eine substantielle Assistenzentschädigung
ist vordergründig nicht kos-tenneutral zu haben.
Je nach gewähltem Ausbaumodell muss mit Mehrkosten zwischen
rund 100 und 250 Mio. Franken gerechnet werden, wozu eventuell noch
Kosten bei Einräumung einer Besitzstandsgarantie im AHV-Alter
hinzutreten. Diese Kosten sind jedoch in einen Gesamtzusammenhang
zu stellen; nicht nur relativieren sie sich im Vergleich zu den
Gesamtkosten der IV von über 8 Mrd. Franken und zum jährlichen
(!)Mehrbedarf für die IV-Renten von 200 Mio. Franken, sondern
sie stellen gut investiertes Geld dar, welches dazu beiträgt,
Kosten an andern Orten zu sparen. Im Einzelnen seien folgende Bemerkungen
angebracht:
- Die
Einführung einer Assistenzentschädigung kompensiert
in etlichen Fällen die Streichung der Zusatzrenten für
den Ehegatten; es sei dabei an Ehepaare gedacht, bei denen die
Partnerin eines behinderten Mannes keiner Erwerbstätigkeit
nachgehen kann, weil sie sich der Pflege ihres Mannes widmet.
Erhält das Ehepaar in Zukunft keine Zusatzrente mehr, so
soll es zumindest eine bessere Assistenzentschädigung erhalten.
- Die
Einführung einer Assistenzentschädigung wird dazu führen,
dass weniger Pflegeleistungen seitens der Krankenversicherung
und der Ergänzungsleistungen beansprucht werden müssen.
- Eine
substantielle Assistenzentschädigung wird aber auch etlichen
behinderten Menschen ermöglichen, ein Leben ausserhalb von
Heiminstitutionen zu gestalten; damit können hohe Heimkosten
gespart werden, welche die Volkswirtschaft, insbesondere Kantone
und Gemeinden, aber auch die IV selbst (kollektive Leistungen
an Wohnheime) um ein Mehrfaches belasten.
- Schliesslich
darf die künftige Entwicklung nicht ausser Acht gelassen
werden. In Anbetracht des langjährigen Trends zur Individualisierung
werden immer weniger Privatpersonen bereit sein, ihre behinderten
Angehörigen rund um die Uhr unentgeltlich zu pflegen und
zu betreuen.
Der
Druck auf die Institutionen wird also weiter zunehmen und die dadurch
bedingten Kosten werden stetig steigen. Diese Entwicklung kann nicht
durch wohlgemeinte Aufrufe zu vermehrter privater Solidarität
aufgehalten werden, sondern allein durch ein finanzielles Angebot,
welches eine Pflege und Betreuung auch ausserhalb spezialisierter
Institutionen unter würdigen Umständen sicherstellt. Zusammenfassend
löst die Einführung einer Assistenzentschädigung
zwar vordergründig gewisse Mehrkosten aus; eine zukunftsgerichtete
und gesamtwirtschaftliche Betrachtungsweise führt jedoch zum
Ergebnis, dass das Gemeinwesen vom anvisierten Umlagerungseffekt
nur profitieren kann.
GEORGES
PESTALOZZI-SEGER,
STV. SEKRETÄR DER DACHORGANISATIONENKONFERENZ DER PRIVATEN
BEHINDERTENHILFE DOK
Mitteilungen
/ Ergänzungen: eMail: ivb@ivb.ch
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