NOOCHRICHTE
53 (September 1998)
Gegen
die Abschaffung der IV-Viertelsrente
Wer
sucht sich Invalidität schon aus?
Nottwil,
13. August 1998 - Das von der Schweizer Paraplegiker-Vereinigung
(SPV) mit Unterstützung weiterer Behinderten-Organisationen
ergriffene Referendum «Gegen die Abschaffung der IV-Viertelsrente»
ist flächendeckend lanciert. Anfang August wurden sämtliche
Haushaltungen der Schweiz mit Prospekten bedient. Bürgerinnen
und Bürger sind aufgerufen, mit ihrer Unterschrift zu verhindern,
dass bereits benachteiligte Menschen einer unsinnigen Sparpolitik
zum Opfer fallen, die in Sozialabbau mündet.
Unmittelbar
nach dem Entscheid des Nationalrates am 26. Juni 1998 hatte die
Schweizer Paraplegiker-Vereinigung (SPV) angekündigt, das Referendum
gegen die Abschaffung der IV-Viertelsrente zu ergreifen. Mit weiteren
Interessengruppen im Schlepptau lässt sie den Worten nun Taten
folgen.
Die
landesweit eingeleitete Unterschriftensammlung richtet sich gegen
eine Strafaktion, die als Sparübung mit geschätzten Minderausgaben
von 8 bis 12 Mio Franken getarnt ist. Marc F. Suter, selber Rollstuhlfahrer,
Mitglied im Zentralvorstand der Schweizer Paraplegiker-Vereinigung
(SPV) und Nationalrat, hatte vor der Schlussabstimmung über
die Gesetzesänderung eindringlich an Vernunft und Weitsicht
der Parlamentarier appelliert. Er betonte damals unter anderem,
dass sich soziale Gerechtigkeit daran messe, wie wir mit den Schwächsten
umgingen. Die Abschaffung der IV-Viertelsrente sei ein erster Schritt
in Richtung Sozialabbau und bedeute die Abkehr vom Versicherungsprinzip
hin zum Bedarfsprinzip. Und das sei letztlich auch Verrat am Zweck
der IV überhaupt, Hilfe zur Selbsthilfe leisten zu wollen.
Vergeblich: die Befürworter der Vorlage siegten mit zwei Stimmen
Unterschied.
Widersprüche
und Rechtsverletzungen
Den
Argumenten der vorläufigen Gewinner liegt kurzsichtige Sparwut
zugrunde. Sowohl der Bundesrat als auch eine Mehrheit im Parlament
wollen im Zuge der jetzigen Revision des Invaliden-Versicherungs-Gesetzes
(IVG) die Sanierung der Invaliden-Versicherung vorantreiben.
Die
Streichung der Viertelsrente kommt da sehr gelegen, weil sie nicht
sehr viele Menschen, diese aber um so härter trifft. Jenen,
die invaliditätsbedingt über 50% weniger verdienen als
vordem, soll ein Minimalzustupf von unter 500 Franken monatlich
entzogen werden. Darauf aber sind sie trotz selbst erzieltem
Einkommen dringend angewiesen. Im Endeffekt handelt es sich
also nur um eine Umverteilung der Kosten.
Bedenklich
stimmt weiter, dass die in Bern beschlossene Gesetzesänderung
dem Prinzip der IV «Eingliederung vor Rente» widerspricht
und IV-Beitragszahlern auf diese Art rechtmässige Ansprüche
aus dieser Versicherung vorenthalten werden.
Grundsatz-Diskussion
erforderlich
Einseitige
Betrachtungsweise und Wissensdefizite der politischen Instanzen
überraschen auch Guido A. Zäch, Klinikdirektor und Chefarzt
des Schweizer Paraplegikerzentrums in Nottwil, immer wieder aufs
Neue. Nicht erst aufgrund der jüngsten Entwicklungen sieht
er die Invaliden-Versicherung und deren Bemessungsgrundlagen überhaupt
in Frage gestellt. «Warum soll in der Schweiz falsch sein,
was in anderen Ländern richtig und machbar ist?". In Deutschland
etwa legen Ärzte fest, zu welchem Grad ein durch Unfall oder
Krankheit behinderter Mensch Erwerbsfähig ist, und gilt ein
Querschnittgelähmter prinzipiell als invalid ob er nun
arbeitet oder nicht.
Ab 1. Januar 2000 tritt dort sogar ein neues, «verschärftes»
Gesetz in Kraft. Demgemäss kommt es bei der Feststellung von
Erwerbsfähigkeit-Minderung nur noch auf den Gesundheitszustand
des Versicherten an, während die Lage auf dem Arbeitsmarkt
überhaupt keinen Einfluss mehr hat.
Unter
dem Gesichtspunkt einer besonders entmutigenden Ausgangslage für
Behinderte im Alter zwischen 20 und 30 Jahren hält Zäch
statt kontraproduktivem Flickwerk eine grundsätzliche Überprüfung
der IV-Bestimmungen und eine Anpassung der Renten nach oben für
notwendig.
«Wirkliches
Sparpotential liegt in besseren Voraussetzungen zur Erhaltung der
Erwerbsfähigkeit von Behinderten. Die kommt durch bessere Ausbildung
und den dauernden Ansporn, einen Teil des Lebensunterhaltes aus
eigener Kraft zu bestreiten.»
Die
Streichung der IV-Viertelsrente aber würde genau das Gegenteil
auslösen. Sie drängte Schwache weiter an den Rand der
Gesellschaft und bewirkte nur eine Umschichtung der Lasten. Anstelle
des Bundes müssten Kantone und Gemeinden für Ersatzleistungen
Aufkommen. Guido A. Zäch, seit Jahren an vielen Fronten im
Einsatz für generelle Besserstellung Behinderter: «Das
ist eine Milchmädchen-Rechnung und billige Politik auf dem
Buckel von arbeitswilligen Behinderten, die den Steuerzahler langfristig
noch teurer zu stehen kommt.»
Stichtag:
15. Oktober
Das
von der Schweizer Paraplegiker-Vereinigung (SPV) lancierte Referendum
«Gegen die Abschaffung der IV-Viertelsrente» wird von
rund 30 namhaften Behinderten-Organisationen und Institutionen
sowie mehreren Arbeitnehmer-Verbänden, Parteien und Interessengruppen
unterstützt. Bis zum Ablauf der Eingabefrist verbleiben rund
ein halber Monat, um die geforderten 50'000 Unterschriften zu sammeln
und beglaubigen zu lassen.
Am
15. Oktober müssen die Bogen im Bundeshaus in Bern abgeliefert
werden. Das Team um SPV-Zentralsekretär Thomas Troger, für
die Koordination und Abwicklung der Unterschriftensammlung zuständig,
hat viel Arbeit vor sich, die auch beträchtliche finanzielle
Mittel verlangt. Ebenso gross ist aber die Zuversicht, bis zum 15.
Oktober genügend Unterschriften beisammen zu haben, damit die
Gesetzesrevision im Frühjahr 1999 vors Volk kommen kann.
Mitteilungen
/ Ergänzungen: eMail: ivb@ivb.ch
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