NOOCHRICHTE
48 (Juni 1997)
New
Public Management (NPM) ein Modebegriff und seine Folgen.
New
Public Management ist eines der Schlagwörter und ein neues
Verwaltungsinstrument der Neunziger Jahre. Ob Gesundheits- oder
Sozialbereich, Schulen, Museen, Heime oder Umweltschutz - wo immer
öffentliche Dienstleistungen in die Finanzklemme geraten, verspricht
man sich vom "schlanken Staat" einige Einsparungen und
trotzdem wirksame Kundennähe. Wie lässt sich eine Orientierung
an der Privatwirtschaft mit der Solidarität des Gemeinwesens
vereinbaren? Dazu einige kritische Bemerkungen.
"Sparen
und gleichzeitig Effizienz steigern"
So
lautet der griffige Slogan der Befürworter des New Public Management,
kurz NPM genannt. Inzwischen laufen bereits in einem Dutzend Kantonen
und unzähligen Gemeinden NPM-Pilotprojekte, die auf die eine
oder andere Art mit Versatzstücken dieser Verwaltungsideologie
experimentieren. Die Behörden benennen ihre diversen Projekte
mit allerlei Wortkürzeln: von "NeF" (neue Verwaltungsführung;
Kanton Bern) über "WoV" (Wirkungsorientierte Verwaltung;
Kanton Luzern) bis "WiF!" (Wirkungsorientierte Führung;
Kanton Zürich).
Die
Botschaft dieser Abkürzungen möchte auf den ersten Blick
aussagen: Die Qualität öffentlicher Verwaltungen bemisst
sich nach der Wirkung und Wirksamkeit, die von den Dienstleistungen
ausgehen. Dass die Bevölkerung diese Qualität unterschiedlich
erlebt, ist offensichtlich. Eine Stadt kann durchaus mit minutengenau
verkehrenden Trams und Bussen aufwarten und gleichzeitig die Einwohner
und Einwohnerinnen mit einer zeitaufwendigen Steuerverwaltung nerven.
Die Angestellten des Sozialamtes mögen einfühlsam, unbürokratisch
und effizient auf die Anliegen der Gesuchsteller eingehen dennoch
lässt vielleicht gleichenorts die behördliche Bearbeitung
von Baugesuchen sehr lange auf sich warten. Mit anderen Worten:
Eine Qualitätssteigerung einzelner öffentlicher Dienstleistungen
in Gemeinden, Kantonen und beim Bund ist durchaus angezeigt.
Dass
solche Leistungsverbesserungen allerdings nur punktuell nötig
sind, geben selbst Anhänger des NPM zu. Trotzdem sollen die
öffentlichen Administrationen "im operativen Bereich ähnlich
wie privatwirtschaftliche Unternehmen funktionieren".
Die
Beschäftigten in den Verwaltungen sollten nach Meinung von
M. Osterloh, Professorin der Ökonomie an der Universität
Zürich, "vom Beamten zum Unternehmer" mutieren. Und
aus anspruchsberechtigten Bürgern und Bürgerinnen sollten
- zahlende - Kunden und Kundinnen werden.
Das
Konzept des NPM, das auf der Idee des "schlanken Staates"
basiert und im grossen Stil zuerst in Neuseeland verwirklicht worden
ist, beinhaltet ein ganzes Instrumentarium von grundsätzlichen
Neuerungen, die den vielbeschworenen frischen Wind in die Amtsstuben
bringen sollen. Dabei wird u. a. mit folgenden Begriffen gearbeitet:
·
Wirkungsorientierung: Die politischen Instanzen - Exekutiven,
Legislativen, Stimmberechtigte - steuern die Tätigkeit der
Verwaltung nicht mehr mittels detaillierter Vorgabe der finanziellen
und personellen Ressourcen (Input), sondern neu mittels Vorgabe
der zu erreichenden Leistungen (Output) und der gewünschten
Wirkungen (Outcome).
·
Kundennähe: Die Leistungen der Verwaltung (Produkte) richten
sich enger als bisher an den konkreten Bedürfnissen der Benützerinnen
und Benützer in der Bevölkerung aus (Kunden).
·
Globalbudgets: Für eine zum voraus definierte Leistung
(Leistungsauftrag) wird ein festumrissener Betrag zur Verfügung
gestellt. Die zuständige politische Instanz stellt ein Gesamtbudget
zur Verfügung, mit dem die Verwaltung oder einzelne Verwaltungsabteilungen
die vorgegebenen Aufgaben so effizient wie möglich erfüllen
müssen. Im Unterschied zur traditionellen Budgetierung enthält
das Globalbudget nicht Einzelposten sondern eine Kontraktsumme.
·
Controlling: Interne oder unabhängige aussenstehende Gremien
überprüfen regelmässig die Leistungen der Verwaltung
und ihre Wirkungen mit den Vorgaben der politischen Instanzen und
schlagen, wenn nötig, Verbesserungen vor.
·
Benchmarking: Aufschluss über die Qualität der Tätigkeit
soll ausserdem der Leistungsvergleich zwischen einer bestimmten
Verwaltung und denjenigen andern Verwaltungen oder Privatunternehmen
geben, welche die betreffende Leistung am besten erbringen.
Ansätze
zu Kritik
Aus
diesem knappen Überblick über wichtige Elemente ist ersichtlich,
wie komplex, kompliziert und unterschiedlich NPM-Konzepte sind.
Nicht einzelne Merkmale sondern das Zusammenwirken aller Elemente
macht das Wesen des NPM aus, das durchaus innovative Prozesse auslösen
kann. Ohne Zweifel fördert NPM das Kostenbewusstsein und Sparen.
Hier liegt das Schwergewicht aller Anstrengungen und hiermit auch
der Ausgangspunkt der zur Vorsicht mahnenden Kritik.
Aber
nach wie vor ist unklar, wie die Wirkung der Dienstleistungen auf
die Gesellschaft, den Klienten und den Patienten gemessen werden
soll - ein zentrales NPM-Postulat.
Die
wirtschaftliche Wende und der seit ein paar Jahren auf Gemeinden,
Kantonen und Bund lastende Spardruck sind die wirklichen Triebfedern
des allerorts proklamierten Aufbruchs zu effizienteren Verwaltungen.
Befürworter versprechen sich einerseits einen Ausgleich der
knapp gewordenen Budgets. Andererseits bietet NPM einen Gratislehrgang
für die privatwirtschaftliche Zukunft in heute noch staatlichen
Dienststellen: Die derzeit gängige Deregulierungspolitik zielt
klar darauf ab, rentable Branchen aus dem öffentlichen Dienstleistungsangebot
herauszubrechen und mittelfristig zu privatisieren.
Den
Staat neu erfinden?
So
gesehen gelten die weitherum zelebrierten Glaubensbekenntnisse für
das NPM weit weniger der Verbesserung mangelhafter Angebote der
Verwaltungen als vielmehr der unheiligen Dreifaltigkeit von Sparen,
Deregulieren und Privatisieren. Wahrscheinlicher als Leistungssteigerungen
sind weitere Abbaumassnahmen und Budgetkürzungen im öffentlichen
Sektor. Was in der elegant anmutenden Verpackung des Schlankmachers
für den Staat daherkommt, könnte sich bei näherer
Betrachtung ohne weiteres als amtlich verordnete Magersucht erweisen.
Die
fatalen Folgen müssten in noch dramatischerem Mass als bisher
diejenigen Frauen und Männer im Lande tragen, die in der Sprache
heutiger Soziologen despektierlich "A-Bevölkerung",
heissen: Auszubildende, Arbeitslose, Arme, Alleinerziehende, Alte
und Aussteiger.
Gerade
in den Sektoren Soziales und Gesundheit lauern noch zusätzliche
NPM-Tücken. Denn wer Behinderte, Bedürftige und Kranke
kurzerhand zu Kunden umfunktioniert, riskiert deren Geringschätzung,
wenn gleichzeitig Kostenersparnis und gesteigerte betriebliche Effizienz
zum Mass aller Dinge werden. Dann steht nämlich keineswegs,
wie behauptet, das differenzierte "Kundenbedürfnis",
im Vordergrund, sondern vielmehr die reibungslose Verabreichung
katalogisierter Angebote durch weniger Personal.
Wichtiger
als der zwischenmenschliche Kontakt und der dafür nötige
Zeitaufwand werden ein straffer Betrieb und eine auf Entscheide
drängende und keinerlei Unsicherheit zeigende Führung.
Im Kanton Solothurn, der als erster sämtliche Spitäler
mit Globalbudgets ausgestattet und auf NPM-Kurs getrimmt hat, meint
denn auch der kantonale Finanzverwalter K. Altermatt "Wirkungsorientierte
Verwaltung ist mit Führungsschwäche schlicht nicht zu
vereinbaren und wäre zwangsläufig zum Scheitern verurteilt."
"NPM
hat einen subversiven Ansatz und sollte in seiner Radikalität
nicht unterschätzt werden", meint H. Locher, Berner Unternehmensberater
und ehemals kantonaler Chefbeamter. Ähnlich äussert sich
H. Schwamm, Professor für Wirtschaftswissenschaften in Genf,
in Bezug auf die einschneidenden Effekte der Verwaltungsführung
auf die schweizerische Politik: "Wir müssen den Staat
neu erfinden." Das mag wohl Kopfschütteln auslösen,
ist aber durchaus ernst gemeint. Tangiert wird nämlich nicht
weniger als die direkte Demokratie. Nach Meinung des Juristen H.
Windlin, der mit seiner staatsrechtlichen Analyse die eingereichte
Motion für eine Verwaltungsreform nach NPM-Prinzipien im Kanton
Zug zu Fall brachte, ist die NPM-Philosophie im Ansatz falsch. "Wenn
sich das Parlament darauf beschränken müsse, Ziele zu
formulieren und entsprechende Rahmengesetze zu verabschieden, ergebe
das eine Kompetenzverschiebung zu Regierung und Verwaltung, die
schliesslich die Volksrechte schmälere".
Und:
"Zwischen einem gewinnorientierten Privatunternehmen und dem
freiheitlich - demokratischen Rechts- und Wohlfahrtsstaat bestehen
elementare Unterschiede." Denn um "Verlustgeschäfte",
komme ein sozialer Rechtsstaat nicht herum: "Auch der Mittellose
hat Anspruch auf ausgebauten Rechtsschutz, existenzielle Fürsorge,
Ausbildung, solidarische Gesundheits- und Altersvorsorge."
Bislang
gelang es in der Schweiz keinem Kanton und keiner Gemeinde mit NPM-Praxis,
Ansätze von erfolgreichen Ergebnissen vorzulegen, welche die
Architekten des Verwaltungsneubaus im Vorfeld der Projektphase in
Aussicht gestellt hatten. Dieselben Enthusiasten, die nach dem Vorbild
von Neuseeland die Umkrempelung innerhalb von vier Jahren realisiert
sahen, reden jetzt davon, dass es zehn bis fünfzehn Jahre brauche,
bis der Prozess Fuss fasse.
Dieser
gekürzte Artikel erschien in der Fachzeitschrift "IN-Forum"
der Pro Infirmis. Der Originalartikel von Max Jäggi: "Amtlich
verordnete Magersucht - New Public Management: Ein Modebegriff und
seine Folgen" erschien in der "Weltwoche" Nr. 51/Dezember
1996.
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/ Ergänzungen: eMail: ivb@ivb.ch
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