NOOCHRICHTE 58 (Dezember 1999)

Brauchen Behinderte Unterstützung?

         
Andreas Cueni, Leiter Spenden/PR Wohn- und Bürozentrum für Körperbehinderte Reinach (WBZ)
 
Andre Frauchiger, Adjunkt und Medienbeauftragter Bürgerspital Basel
 
Markus Schneiter, Geschaftsführer Transportdienst Invaliden-Vereinigung beider Basel (IVB).

Forum-Artikel in der Basler Zeitung zum «UNO-Welttag des behinderten Menschen» am 3. Dezember

Der 3. Dezember ist der «Internationale Tag der behinderten Menschen» - der richtige Zeitpunkt, um sich erneut Gedanken über die Stellung und Rechte der Menschen mit einer Behinderung in unserer Gesellschaft zu machen. Wohl sind deren Anliegen in den vergangenen Jahren ein öffentliches Anliegen geworden - auch die 364 Tage zwischen den 3. Dezembern. Nur: Der Spardruck vor allem der öffentlichen Hand, des Bundes und der Kantone, der Sozialversicherungen und der Krankenkassen stellt die bis anhin gewährten finanziellen Leistungen an die Behinderten in Frage. Die Diskussionen um den Finanzausgleich zwischen Bund und Kantonen schüren zusätzlich die Ängste und Befürchtungen insbesondere der direkt betroffenen Mitmenschen. Denn die Kantone haben bereits angekündigt, die bisherigen vom Bund im Rahmen der Sozialversicherungen getätigten Leistungen von Grund auf hinterfragen und Punkt für Punkt bei den Leistungen überprüfen und auch in Frage stellen zu wollen.

Integration fördern

Die Integration von benachteiligten Menschen, insbesondere von Behinderten, so scheint es, ist in aller Munde. Auch wurden in den letzten Jahren wesentliche Fortschritte in der Aufklärung der Öffentlichkeit über die Bedürfnisse von behinderten Mitmenschen erzielt. Dies zeigte sich auch an der Urne. Ein Beispiel hierfür ist die überraschend klare Ablehnung der Abschaffung der Viertels Rente. Der Souverän hat offensichtlich mit sicherem Gespür gemerkt, dass die Viertels Rente für Menschen mit einer Behinderung eine der grossen Chancen darstellt, trotz verminderter Leistungsfähigkeit einer geregelten Arbeit nachgehen zu können und überhaupt einen Arbeitsplatz zu finden.

Die Schweizer Bevölkerung, so scheint es, hat ein oft wesentlich besser entwickeltes Gespür für die sozialen Notwendigkeiten und den gerechten Interessenausgleich auch zugunsten der Behinderten als die hierfür politisch Verantwortlichen. Jedenfalls ist es eine Tatsache, dass die Interessenorganisationen der Behinderten sich auf dem «Polit-Spielfeld» in der eindeutigen Defensive befinden. Sicher: Ein Problem besteht darin, dass sich viele behinderte Mitmenschen -ähnlich wie behinderte Betagte - in der Wahrung ihrer Interessen hilflos und abhängig von so genannten «gesunden» Menschen fühlen. Oft fehlt die Kraft, die es braucht, um sich in der Gesellschaft wirksam Gehör zu verschaffen. Deshalb: Diese unsere Mitmenschen bedürfen der tatkräftigen Unterstützung - uneingeschränkt und auf allen Ebenen.

Vor diesem Hintergrund der auf der individuellen Ebene spürbaren Hilflosigkeit der Menschen mit einer Behinderung kommt deren Interessenorganisationen eine grosse Bedeutung zu. Es fehlt denn nicht an kreativen Vorschlägen von dieser Seite, auf welche Art und Weise mögliche Verbesserungen in der Behindertenbetreuung erzielt werden können. Zur Diskussion stehen hier Stichworte wie Assistenzdienste, Subjekt- statt Objektfinanzierung und ein kostengünstiger, aber wirksamer Behindertentransport.

Anerkennung der Grundrechte


Die Interessenorganisationen werben umgekehrt auch um mehr Verständnis für ihre Stellung in der Gesellschaft. Dies drückt sich konkret in der Forderung aus, Rechte, die allen Menschen zukommen sollten, endlich auch für Behinderte einzufordern und mit aktiven Massnahmen zu verwirklichen. In diesem Zusammenhang ist auf die Erfordernisse der Gleichstellung gemäss Bundesverfassung sowie auf die Diskussion über die Antidiskriminierung hinzuweisen.
Apropos (Anti-)Diskriminierung: Die Mobilität ist in den letzten Jahrzehnten nicht nur zu einem Wirtschaftsfaktor geworden, sondern spielt zudem eine wesentliche Rolle bei der Frage der Lebensqualität. Neben den individuellen Mobilitätsansprüchen hat dabei der so genannte «Öffentliche Verkehr» (ÖV) immer mehr an Bedeutung gewonnen. Dass der öffentliche Verkehr eine Aufgabe des Staates ist, haben die Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger in unzähligen Abstimmungen deutlich zum Ausdruck gebracht. Es gilt als selbstverständlich, dass der Begriff «öffentlich» auch bedeutet, dass er jedermann und -frau zur Nutzung uneingeschränkt zur Verfügung steht.

Eingeschränkte Mobilität

Dennoch: Gerade für behinderte Mitmenschen, welche die öffentlichen Verkehrsmittel aufgrund ihrer Behinderung nicht benutzen können, ist das Uneingeschränktsein bei den Transportmitteln leider mehr oder weniger ein Wunschtraum. Doch das Thema «Behindertentransport» wird noch allzu oft stiefmütterlich angegangen. Speziell in der Nordwestschweiz, in den beiden Basel, bekundet die öffentliche Hand ihre liebe Mühe damit. Einerseits haben Regierungen und Parlamente von Basel-Stadt und Baselland die eingereichte Initiative «Für einen behindertengerechten öffentlichen Verkehr» gutgeheissen, anderseits lassen aber konkrete Taten auf sich warten: Der bestehende Transportbedarf von Menschen mit einer Behinderung ist mit der zur Zeit bestehenden, rein staatlich kontrollierten und finanzierten Behindertentransport-Lösung nur zum Teil abgedeckt - die Zahl der tatsächlich ausgeführten Fahrten liegt weit unter den von den beiden Kantonsparlamenten von Basel-Stadt und Basel-Landschaft versprochenen 100 000 Fahrten pro Jahr.

Im Wissen darum, dass der öffentliche Verkehr wohl auch in Zukunft nie allen Behinderten und gehbehinderten Betagten uneingeschränkt zur Verfügung stehen wird, ist ein absolut bedarfsgerechtes Zusatzangebot notwendig - ein Zusatz-und Ergänzungsangebot des öffentlichen Verkehrs. Es ist stossend, dass heute fahrberechtigte Behinderte und Betagte als Folge der allzu beschränkten finanziellen Ressourcen nur noch 25 Fahrten pro Jahr zugute haben beziehungsweise lediglich einmal in zwei Wochen berechtigt sind, den heute bestehenden, staatlich finanzierten Behindertentransportdienst zu ÖV-Preisen zu beanspruchen.

Fahrten zum Arbeitsplatz oder in die Tagesheime werden staatlicherseits nicht mehr finanziert und können zur Zeit nur noch vom Transportdienst der Invalidenvereinigung beider Basel (IVB) oder von den Institutionen selbst durchgeführt werden. Allerdings müssen sowohl die Arbeitgeber als auch die Betroffenen die Kosten ebenfalls mittragen. Damit überhaupt ein einigermassen akzeptabler Fahrpreis möglich ist, bedarf es auch zahlreicher Spenden. Neue innovative Lösungen sind gefragt, die den echten Bedürfnissen der behinderten und betagten Mitmenschen entsprechen.

Schwerpunkt Kommunikation


Doch zurück zum proklamierten «Tag der Behinderten» vom 3. Dezember: Die Dachorganisationskonferenz der privaten Behindertenhilfe hat diesen Tag zum Anlass genommen, das Thema «Gleichstellung» zu konkretisieren und den Begriff «Kommunikation» in seiner ganzen Tragweite - immer im Zusammenhang mit dem leben der behinderten Mitmenschen - zur Diskussion zu stellen. Kommunikation, das Gespräch von Mensch zu Mensch, das Aufzeigen von Bedürfnissen im Dialog - dies bildet den Schlüssel, das Fundament für Verbesserungen. Hinzu kommt, dass trotz des an der Urne bewiesenen Verständnisses unsere Gesellschaft insgesamt immer noch relativ wenig über die Menschen weiss, die sie normalerweise als «behindert» qualifiziert.

Es ist vor diesem Hintergrund sehr zu begrüssen, dass ein nationales Forschungsprogramm gestartet werden soll, welches diese Wissenslücke und die tatsächliche Stellung der behinderten Menschen aufzeigen wird. Auch die Behinderteninstitutionen sind bezüglich Öffentlichkeitsarbeit zweifellos vermehrt gefordert. Sie wollen dieser nicht einfachen Aufgabe im Interesse der Behinderten in verstärktem Ausmass gerecht werden. Unermüdliche Aufklärung der Bevölkerung tut Not.

Basler Zeitung - Forum 1.12.1999

Mitteilungen / Ergänzungen: eMail: ivb@ivb.ch

IVB / 08.01.2003