NOOCHRICHTE 54 (Dezember 1998)

Professionalität im Behindertentransport ?

Ist die Forderung nach mehr Professionalität
im Behindertentransport «die» Lösung ?

Wir alle verlangen Qualität, sei es beim Kauf von Produkten oder Dienstleistungen ­ meist zu Recht steht diese Forderung, schliesslich will man ja nur «das Beste» für sein hart verdientes Geld. Dass aber Qualität nicht billig ist, haben wir alle auch schon erfahren. Und vielfach erleben wir, dass der Begriff «Qualität» in unterschiedlichster Weise interpretiert und benutzt wird.
Immer mehr Unternehmen suggerieren ihren Kunden fortlaufend, dass nur Sie die «beste» Qualität zum «besten» Preis anbieten. Ein Wettbewerb, der mit immer neueren Mitteln die Qualität unter Beweis stellen will. Ganze Unternehmenszweige befassen sich denn auch mit Qualitäts-Management und -Sicherung. Mit dem Qualitäts-Anspruch lässt sich heute sehr gut Geld verdienen....
Jedes Unternehmen, das etwas auf sich hält, versucht denn auch mit allen Mitteln diese Anstrengungen (und Ausgaben) unter Beweis zu stellen. Da wird «zertifiziert» auf «Teufel komm raus». Dass am Ende der Kunde das alles mitbezahlt, steht auf einem anderen Papier geschrieben.

Schon seit langer Zeit fordern auch die Behindertenorganisationen mehr Qualität im Bereich der Behindertentransporte. Doch diese Forderung nach Qualität hat nichts mit dem Begriff «das Beste» gemeinsam. Vielmehr hat diese Forderung eine direkte Verknüpfung mit der Finanzierung der Transporte. Die Betroffenen fordern nämlich ein bedürfnisorientiertes Transportangebot, dass auch in den Spitzenzeiten nicht wegen fehlender Mittel sofort überlastet ist. Also nicht die Forderung nach Qualität im Sinne eines hochprofessionalisierten Angebotes («das Beste») steht im Fordergrund, sondern die Qualität im Sinne des ausreichenden Angebotes.
Die betroffenen Benutzer haben längst begriffen, dass die «schlechte» Qualität der Transportdienstanbieter nur beschränkt mit dessen Professionalisierung zu tun hat, vielmehr setzen die beschränkten finanziellen Mittel hier die Grenzen.
Die betroffenen Benutzer haben aber auch verstanden, dass eine Professionalisierung in diesem Bereich zwar eine wünschenswerte Qualitätssteigerung in den Bereichen Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit bringen würde, doch für welchen Preis?
Die Professionalisierung, das wissen wir alle, verteuert ein Angebot. Eine Verteuerung hat zur Folge, dass die Quantität zurückgeht. Sie bekommen «mehr» Qualität für «weniger» Quantität. Doch genau dass haben die Behindertenorganisationen nicht gefordert. Denn mehr Transportmöglichkeiten (Quantität) ist der eigentliche Wunsch!

Professionalisierte Arbeitsplätze ?

Der subjektive Wunsch nach Qualität hat aber noch in einem ganz anderen Zusammenhang verheerende Konsequenzen.
Gerade im Bereich der Behindertentransporte haben auch «Behinderte» einen Arbeitsplatz gefunden. Sie sind Profis in einen ganz anderen Sinn. Nicht die Bestätigung durch eine Prüfung (z.B. Taxi-Prüfung) macht Sie zu Profis, vielmehr das Verständnis und die eigenen Erfahrungen, das Know-How also, zeichnet sie aus. Diese Professionalität kann man in keiner Ausbildung lernen! Doch das ist nicht mehr gefragt!
Gerade jetzt hat es im Bereich der Schülertransporte einen solchen Wechsel gegeben. Einen Wechsel, der die Forderung nach Professionalität als Grundlage hat. Aber eben nicht die Professionalität im Sinne von Know-How, sondern die einer bestandenen Prüfung.
In den vergangen 20 Jahren wurde der Schülertransport in unserer Region durch den Sozialpädagogischen Dienst (SDS) organisiert. Im Zusammenhang mit den Umstrukturierungen im Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) wurde diese Stelle aufgehoben und die Transporte müssen neu jeweils durch die Schulen selbst organisiert und abgerechnet werden.
Die IVB hat vor rund 30 Jahren den Grundstein für diesen Transportzweig gelegt und im Auftrag des damaligen Schulfürsorgeamtes solche Transporte durchgeführt. Zahlreiche IV- und AHV-Rentner konnten in diesem Bereich eine neue sinnvolle Aufgabe finden und hatten wieder einen bezahlten Arbeitsplatz.
In einem Submissionsverfahren (Ausschreibung) wurden nun der Professionalität den Vorzug gegeben.
Die Schulen, die behinderte Kinder ausbilden und «auf das Leben» vorbereiten sollen, haben sich (paradoxerweise) für gewinnorientierte, professionelle TAXI-Unternehmen entschieden. Im Gegenzug gehen nun mehrere IV-Arbeitsplätze bei der IVB verloren!

Das für uns besonders bedenkliche an dieser Entwicklung, die in der Privatwirtschaft weit fortgeschritten ist, ist, dass nun auch «staatliche» Betriebe die Behinderten weiter ins Abseits drängen. Nur weil die Forderung nach einer imaginären Professionalität im Raum steht, verschwinden weitere Behinderten-Arbeitsplätze.
Sicherlich interessant dürften denn auch die «Erklärungen» der Verantwortlichen sein, die ihren Schülern wohl eine Grundausbildung bieten, selbst aber aktiv an der weiterschreitenden Wegrationalisierung von Behindertenarbeitsplätzen teilnehmen und damit die Zukunft für Ihre Schützlinge verbauen.
Gar «ketzerisch» wäre denn auch die Frage: «für Was werden die behinderten Schüler denn ausgebildet, wenn schon die Schulen (+ Eltern) nur noch Profis wollen»?

Neuer Ratschlag der beiden Kantone

Teilweise in die gleiche Richtung geht der neu vorgelegte Ratschlag der beiden Kantonsregierungen zur Finanzierung der Behindertentransporte, der dieser Tage verhandelt wird.
Auch dort wird mehr Qualität und mehr Professionalität gefordert (von wem eigentlich, die Behinderten haben eine solche Forderung nie gestellt?).
Dieser Ratschlag, und das sei hier besonders hervorgehoben, ist nicht in Zusammenarbeit mit den Betroffenen und/oder den Transportanbietern (das wären doch die «Profis»!) entstanden. Vielmehr hat das von den Kantonen gewählte und zusammengesetzte Gremium, die KBB (Koordinationsstelle für Behindertentransporte beider Basel) diesen Ratschlag im Alleingang ausgearbeitet.
So sind denn auch zahlreiche Punkte von den Behindertenorganisationen beanstandet worden, weil viele (schon fast «gefährlich») vage Formulierungen in diesem Ratschlag sind, die durchaus negative Auswirkungen für die Benutzer haben können.
Positiv ist die geplante Auflösung der Verknüpfung der Finanzen mit dem Arztzeugnis, neu soll ein fester Betrag von 1,9 Mio Franken jährlich zur Verfügung stehen. Schon fast naiv mutet allerdings die Zusage, dass mit den gesprochenen 1,9 Mio Franken rund 100'000 Fahrten angeboten werden können.
Bis dato hat die IVB/TIXI-Allianz jährlich rund 100'000 Transporte durchgeführt, davon aber nur gerade 70'000 von der KBB mitfinanziert erhalten. Die restlichen 30'000 Transporte jährlich werden mit Spendengeldern finanziert!

Die geforderte Professionalisierung und die Qualitätssteigerung hat aber sicher auch zur Folge, dass die Transporte teurer als heute werden.
Wie also soll bei praktisch gleichbleibenden Mitteln die Transportleistung professionalisiert und die Quantität gesteigert werden ? Die Prognosen sehen denn auch eher düster aus. Die IVB/TIXI-Allianz rechnet mit einem Rückgang der Transportkapazität für das nächste Jahr auf rund 50'000 Transporte, das wäre aber gerade mal die Hälfte der im Ratschlag zugesagten 100'000 Transporte.
Wohl wird im Ratschlag suggeriert, dass mit 1,9 Mio Franken mehr Mittel zur Verfügung stehen, doch auch dies ist nicht ganz richtig. Bisher standen für die Behindertentransporte rund 1,6 Mio Franken jährlich zur Verfügung. Zusätzlich wurden für die Spontanfahrten anfänglich 200'000 Franken gutgeheissen (dieser Spontanfahrtenbeitrag wurde im 1998 halbiert).
Insgesamt standen also bisher bis zu 1,8 Mio Franken zur Verfügung. Da gemäss Ratschlag die Spontanfahrten aufgehoben werden sollen, sind es insgesamt nur 100'000 Franken weniger als jetzt im Ratschlag steht.
In Zürich werden z.B. rund 12 Mio Franken für den Behindertentransport ausgegeben!!

Verbesserungen

Abgesehen von der oben beschriebenen subjektiven finanziellen Verbesserung und der erwähnten Auflösung der Verknüpfung Geld ­ Arztzeugnis, sieht der Ratschlag vor allem folgende Verbesserungen vor:

  • Neu sollen 100'000 Transporte pro Jahr finanziert werden können?
  • die Qualität des Transportangebotes soll regelmässig überprüft werden.
  • es werden nur noch Transporte finanziert, die nicht durch andere Kostenträger (IV, Krankenkasse, Ergänzungsleistungen) übernommen werden.
  • die Anpassung der Vereinbarung soll flexibel gehandhabt werden können (Departementshoheit).

Verschlechterungen

Durch die vagen, unklaren Formulierungen sind doch auch zahlreiche Verschlechterungen zur heutigen Situation zu erwarten. Die augenfälligsten sind:

  • regelmässige Fahrten sollen nicht mehr finanziert werden (andere Kostenträger sollen das übernehmen).

  • Jugendliche Behinderte (unter 18 Jahren) können das Transportangebot nicht mehr benutzen.
  • die Spontanfahrten für Rollstuhlfahrer fallen weg
  • Behinderte mit einem eigenen speziellen Auto (Selbstlenker) können das Transportangebot nicht mehr nutzen.
  • Der Fahrpreis «orientiert» sich am Preis der öffentlichen Verkehrsmittel. Dem Umstand des «Haus zu Haus» -Transportes kann bei der Preisgestaltung Rechnung getragen werden.
    Eine Verteuerung für den Benutzer ist höchst wahrscheinlich!
  • Die Transporteaufträge sollen öffentlich ausgeschrieben werden. D.h. das Submissionsgesetz (BS) und die Submissionsverordnung (BL) müssen angewandt werden. Dies hat zur Folge, dass die bisherigen Anbieter die entsprechenden Bedingungen erfüllen müssen (weitere Verteuerung!).

Das Problem

Die «Krux» der ganzen Geschichte liegt nun darin, dass wenn der Ratschlag in dieser Form nicht angenommen würde, so stände, weil die bisherige Vereinbarung aufgekündet wurde, kein Geld mehr für 1999 zur Verfügung.
Wird der Ratschlag in dieser Form von den Räten angenommen, so dürften die oben aufgeführten Punkte zum Tragen kommen.

Wie so oft bleibt uns nichts übrig, als abzuwarten, wie sich das Ganze weiterentwickelt.
Damit wäre aber auch wieder ein weiteres Kapital im stetigen Auf und Ab (siehe IVB-Noochrichte Nr. 53) aufgeschlagen.

Auf nationaler Ebene versuchen die Behinderten zu Recht die Gleichstellung endlich gesetzlich zu verankern. Gleichzeitig werden Sie aber im täglichen Leben durch die konstante Forderung nach Professionalität weiter diskriminiert.

Anm.: Der Ratschlag wurde am 16.12.98 im Landrat (BL) und am 17.12.98 im Grossrat (BS) mit "grossen Bedenken" angenommen!

Mitteilungen / Ergänzungen: eMail: ivb@ivb.ch

IVB / 08.01.2003